Die Rückkehr der reißerischen Reportagen über den Kongo

Eine Replik auf Thomas Scheens Artikel „Die Rückkehr der Räuber“ in der FAZ vom 07. August 2012
URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kongo-die-rueckkehr-der-raeuber-11847661.html
(Das Titelbild dieses Artikels ist ein Screenshot dieser Internetseite)
Sehr geehrter Herr Scheen,
mit Verlaub, Sie sind ein erfahrener Journalist, der für eine anerkannte deutsche Tageszeitung, die Frankfurter Allgemeine, Afrikaberichterstattung betreibt, die ich seit langer Zeit aufmerksam verfolge.
Doch erlauben Sie mir bitte, diese Replik auf Ihren mich sehr verstörenden Artikel mit dem Titel „Die Rückkehr der Räuber“. Selbstverständlich ist dieser Titel auf den ersten Blick einleuchtend, auch ich dachte mir direkt es müsse ich um die seit März/April von Neuem intensivierten Aktivitäten unterschiedlicher regulärer und irregulärer Streitkräfte handeln. Der zweite Blick richtet sich schließlich auf den Untertitel und das Bild. Bezüglich des Bildes kann man sich nicht wirklich beschweren, denn so gut wie alle Medien benutzen bei humanitären Katastrophen gerne apokalyptisch angehauchte, im Falle des Kongo auch insbesondere das Conrad’sche Herz der Finsternis (vor allem auch die Farbkomposition) exemplifizierende Arrangements. Doch wenn ich folgendes lese, kann ich als jemand, der sich seit Jahren mit dem Kongo und seinen Konflikten beschäftigt, dazu arbeitet, forscht und publiziert, nur den Kopf schütteln:
„Von Ruanda finanzierte Rebellen wüten wieder einmal im Osten Kongos. Ihr Ziel ist die Kontrolle über die wertvollen Rohstoffe. Die kongolesische Regierung greift nicht zum Schutz der Menschen ein – im Gegenteil.“
Entspricht der letzte Satz noch einigermaßen der Wahrheit, so erscheint mir der Pauschalvorwurf an Ruanda und das vereinfachende Motiv der Rohstoffbegierde grob fahrlässig. Dies lesend, muss man sich die Frage stellen, ob Sie a) überhaupt den diesbezüglichen Anhang zum UN Expertenbericht S/2012/348/Add.1 (inklusive der gewissen enthaltenen methodischen Schwächen) und die ruandische Antwort auf die dort genannten Aspekte gelesen haben (die nur zu bestimmten Teilen überzeugende Gegenargumente aufweist, um nicht den Eindruck zu erwecken, ich würde diesen Bericht unterstützen) und b) die Komplexität des Konfliktes im Kongo, sowie in der weiteren Region der Großen Seen überhaupt verstanden haben. Der Verweis auf die Notwendigkeit, für den Leser die Komplexität à priori zu reduzieren gälte in meinen Augen in diesem Kontext nicht, und zwar aus folgenden Gründen:
Einerseits ist es letztlich überhaupt nicht kompliziert, zumindest einige weitere Aspekte die im Kontext des konkreten bewaffneten Konfliktes im Ostkongo genauso wichtig oder gar wichtiger sind anzureißen. Man denke hierbei lediglich an Landkonflikte, ethnische Instrumentalisierung der Bevölkerung durch politische und militärische Kräfte (der Sie und, bei allem Respekt, auch Charles Thomeyni im Artikel ebenfalls verfallen zu sein scheinen) aber auch das Scheitern der Reform des Sicherheitssektors (Armee, Polizei, Justiz) seit Ende des sogenannten zweiten Kongokriegs 2003.
Andererseits dürfte es gerade gegenüber der Leserschaft der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (ähnlich wie anderen großen deutschsprachigen Zeitungen) zumutbar sein, genau solche Aspekte zumindest kurz anzureißen anstatt sie durch simplifizierende Pauschalaussagen ins Fahrwasser einer ach so einfachn monokausalen Erklärung zu geleiten. Unglücklicherweise wimmelt es jedoch auch im weiteren Verlauf des Textes von problematischen bis hin zu faktisch falschen Informationen und Aussagen, auf die einzugehen mir hier notwendig erscheint:
Es beginnt mit Bosco Ntaganda, dem angeblichen Protagonisten der neuen Rebellenformation M23: Sicher ist: Dieser Mensch ist ein brutaler Verbrecher, ein „Terminator“, in Ruanda geboren, recht Hand von Lubanga sowie später Nkunda und zurecht vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt. Das Problem ist jedoch: Er ist schlicht und einfach nicht der Anführer von M23, auch wenn dies die meisten Massenmedien behaupten mögen. Zwar befindet er sich im Kontakt mit der M23-Führungsspitze, doch ist dieser Kontakt meist eher gereizt und angespannt, was dazu führte, dass Ntaganda nach kurzer Zeit mit seiner „Prätorianergarde“ in die Hügel Masisis flüchtete (nein, nicht nach Walikale, dort sitzt lediglich einer von Ntagandas besten Geschäftspartnern, der Milizführer Sheka Ntaberi) und dort illegale Zollstationen für die aus Walikale kommenden Rohstoffe betreibt. Hinzu kommt, dass der Konflikt, oder besser die Konflikte, von denen wir hier sprechen nicht durch die Festsetzung der „Obergangster“ gelöst werden wird. Wenn überhaupt, dann nur durch die Entwicklung eines neuen, russeauschen Gesellschaftsvertrag in einer Form, welche die Kongolesen darin ihre Bedürfnisse und Wünsche wiederfinden lässt.
Ein weiterer Punkt bezieht sich auf das Zitat „Na, diese Tutsi aus Ruanda“. Es ist dabei nicht weiter wichtig, ob Ihr Informant diesen Satz so gesagt hat oder nicht, es ist eher die Tatsache, dass Sie solch ein Zitat kontextfrei verwenden. Kein Wort davon, dass „diese Tutsi“ die Opfer im kurz zuvor erwähnten Völkermord in Ruanda waren. Kein Wort davon, dass nicht nur „diese Tutsi“ sondern auch ca. 20-30 andere Rebellengruppen, Milizen sowie autonom operierende Armeeeinheiten ähnlich viel Angst und Schrecken in der Region verbreiten. Lieber Herr Scheen, niemand erwartet von Ihnen in einer journalistischen Reportage diese anderen Gruppen alle aufzuzählen, aber ein Minimum an Kontext wäre vor einem politisch dermaßen sensiblen Hintergrund insbesondere in einer großen deutschen Tageszeitung durchaus angebracht. Um nicht falsch verstanden zu werden, dies ist beileibe kein Plädoyer für das Regime von Präsident Kagame, geschweige denn seiner Rolle im Kongo (die für mich lediglich ein Gegenstand intensiverer Recherche statt pauschaler Aussagen ist), aber eine offenere Perspektive ist immer angebracht. Schließlich ist der Diskurs auf der anderen Seite der Grenze ähnlich, nur lautet es dort „Interahamwe“ statt „Tutsi“, denn die Benutzung von „Tutsi“ und Hutu“ ist dort seit dem Genozid de facto verboten. Dazu als kleine Fußnote, die Anmerkung dass diese Klassifizierung ohnehin mehr sozial den ethnisch ist, da beide Gruppen (sowohl und Ruanda als auch Burundi) dieselbe Sprache sprechen und u.a. vormals die Grenzen zwischen den Gruppen durchlässig waren. Man könnte noch zahlreiche weitere Argumente hierfür vorbringen, doch dies würde den Rahmen einer Replik sprengen.
Um ein Beispiel zu Sensibilität der Worte zu geben: Vor wenigen Tagen geriet der derzeitige Koordinator der UN-Expertengruppe (die Autoren der oben erwähnten Berichte), Steve Hege, in starke Kritik. Er hatte u.a. in einem älteren Artikel die aktuelle ruandische Regierung als „Ugandan Tutsi Elite“ bezeichnet und die Gräueltaten der FDLR Hutu-Miliz mit dem sogenannten „zweiten Genozid“, den ruandische Soldaten laut eines UN Mapping-Berichts in den Jahren 1995-1997 begangen haben, erklärt. Ruanda beantragt derzeit eine Untersuchung seiner Benennung und beschuldigt in als Genozidleugner. Dies ist selbstverständlich ebenso großer Unsinn wie z.B. alle Probleme des Ostkongo auf die ruandische Invasion und die Gier nach Rohstoffen zu reduzieren, aber es zeigt ganz deutlich, wie vorsichtig man sein sollte, möchte man vernünftig über den Bürgerkrieg im Kongo berichten.
Die von Ihnen angesprochene Zusammenarbeit der M23 mit Mayi-Mayi-Milizen der Region ist sicherlich nicht typisch, es handelt sich dabei eher um sogenannte „alliances contre-nature“ basierend auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, doch auch dies ist erklärbar und bedeutet nicht automatisch das gemeinsame Plündern von Rohstoffen. Im Kontext von M23 haben Sie einige bedeutende Faktoren außerhalb des Rohstoffklischees sogar erwähnt: Die Enttäuschung durch die untätige Zentralregierung, aber auch das willkürliche Verhalten der Armee und den Egoismus der Politiker. Diese Aspekte sind sicher alle richtig und wert, weiterverfolgt zu werden. Schade bleibt dabei nur, dass dies alles in einem Artikel steht, dessen Grundaussage lautet, dass alles die Schuld Ruandas und der Rohstoffgier einiger Rebellen ist.
Diese Replik trägt den Titel „Die Rückkehr der reißerischen Reportagen über den Kongo“. Dies, lieber Herr Scheen, ist kein Versuch sie als Person zu kritisieren oder zu diskreditieren. Nichts läge mir ferner. Doch die Tendenz der Berichterstattung, die sie einschlagen demonstriert sich fortfolgend bei jeder Eskalation oder Neuformierung der bewaffneten Gruppen im Ostkongo. Es scheint, als läge dies zum Teil einfach an einer gewissen Resignation oder Müdigkeit sich auf den ersten Blick gleichende Geschehnisse jedes Mal neu von Grund auf zu analysieren. Ihr Artikel hat dabei Beispielcharakter für gewisse Teile der deutschen aber auch internationalen Berichterstattung über die Region, geprägt von der Verwendung von eurozentrischen Motiven, manichäischen Sichtweisen und einem Nichtverständnis vieler lokaler Dynamiken und regionaler Besonderheiten. In diesem Kontext empfehle ich daher die Lektüre der Werke von Koen Vlassenroot, Séverine Autesserre oder Jason Stearns, um nur einige zu nennen.
Der Kongo ist komplex und undurchschaubar, er verdient daher aber auch eine etwas differenziertere Betrachtung. Und den Lesern der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aber auch anderen Zeitungen, ob kongo-interessiert oder nicht, kann man meiner Ansicht nach etwas mehr logisches Denkvermögen zutrauen aber auch thematischen Hintergrund zumuten.
Sehr geehrter Herr Ethuin,
ich freue mich immer über Kritik, egal ob positiv oder negativ, weil mir meine Themen wichtig sind. Da Sie Ihre Replik direkt an mich richten, will ich Ihnen gerne antworten, obwohl ich ehrlich gesagt finde, diese Diskussion sollten wir nicht auf Ihrem Blog, sondern des ungleich größeren Publikums wegen in der Zeitung führen.
Ihren Vorwürfe, ich verbreite Halbwahrheiten bzw. Falschinformationen, sind hanebüchener Unsinn. Steht in dem Text, dass sich Bosco nach Walikale abgesetzt hat? Nein, tut es nicht. Also warum behaupten Sie es dann? Für jeden nachzulesen: “die ersten Deserteure aus Boscos Truppe haben sich 2011 nach Walikale abgesetzt”. Das ist etwas anderes.
Bestreiten Sie, dass Koltan und Kasserit aus Walikale nach Ruanda geht? Und bestreitet Sie ernsthaft, dass Ruanda Kivu als sein Rohstoffreservoir betrachtet? Dann müssen sich die vielen Untersuchungskommissionen der Vereinten Nationen über die Jahre alle geirrt haben.
Stimmt es etwa nicht, dass sich die kongolesichen Tutsi seit Jahr und Tag vor den Karren Kigalis spannen lassen und derart dabei sind, einem abgrundtiefen Hass der anderen Ethnien in Kongo Vorschub zu leisten? Ist es das, was Sie mit “rousseauschen Gesellschaftsvertrag” umschreiben? Das sollten Sie mal den Menschen nördlich von Rutshuru erklären, wo – wieder einmal – Zwangsrekrutierungen laufen, diesmal durch den M 23. Ich bin sicher, die Leute werden Ihnen applaudieren.
Und wenn mir etliche Flüchtling schildern, wie und von wem sie vertrieben wurde und ich sie frage, woher sie wissen, dass es Tutsi waren und mir geantwortet wird: “Das erkenne wir an ihrem Akzent” – dann ist das in Ihren Augen natürlich keine Zeugenaussage, sondern “ethnische Instrumentalisierung”. Sind Sie auch einer von denen, die den ruandischen Genozid – so ungeheuerlich er auch war – als hinlängliche Rechtfertigung für die seit 1996 anhaltende Verwüstung Ostkongos betrachten?
Dass die himmelschreiende Unfähigkeit Kinshasas, Kivu zu verwalten, eine gehörige Mitschuld an den fortgesetzten Konflikten dort trifft, ist unbestritten und wird in meinem Artikel auch ausführlich geschildert (inklusive der Vielzahl bewaffneter Gruppen), auch wenn Sie dies geflissentlich überlesen zu haben scheinen. Aber ist das Grund genug, mit Gewalt ganze Landstriche zu entvölkern?
Ich mache Ihnen einen Vorschlag, und der ist ernst gemeint: Warum begleiten Sie mich nicht einmal auf einer Tour durch Kivu? Sie könnten dann mein “Unwissen über die lokalen Dynamiken” zurechtrücken (ich lasse mich gerne belehren, auch wenn Sie das vielleicht nicht glauben mögen). Bei gleicher Gelegenheit könnten Sie wiederum Ihre theoretische Exzegesse an der Wirklichkeit überprüfen.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Scheen
Frankfurter Allgemeine Zeitung